Rückblick: rechte Aktivitäten 2019 im Kreis Tübingen

Das Jahr 2019 geht zu Ende und es soll von uns auch zu einem Rückblick auf die rechten Aktivitäten im Kreis Tübingen genutzt werden.

Aktivitäten der extrem rechten AfD

Auf Partei-Ebene existiert in Tübingen ein AfD-Kreisverband. Dieser soll sich auch weiterhin einmal im Monat treffen, tritt aber kaum an die Öffentlichkeit. Dieses Jahr veranstaltete der Tübinger AfD-Kreisverband trotz der Kommunalwahlen keine öffentlich beworbene Veranstaltung und dokumentierte auch keine im Rückblick. Trotzdem bekannt wurde eine Vortragsveranstaltung zum Thema „Ein Jahr Vereinigung „Juden in der AfD“. Eine Vorstellung unserer Arbeit.“ mit Dr. Vera Kosova am 16. Juli 2019 in der Sportgaststätte Weiherwiesen in Walddorfhäslach (Kreis Reutlingen). Möglicherweise findet hier auch regelmäßig der monatliche Kreisstammtisch statt.

Auch auf Facebook fallen die Veröffentlichungen eher sporadisch aus. Sie stammen vermutlich fast alle von Stephan Eissler aus Tübingen.

Der Tübinger AfD-Funktionär Rainer Sebastian Olbrich zog Anfang des Jahres nach Potsdam. Möglicherweise erklärt dieser Umzug auch die starke Inaktivität der Tübinger AfD mit.

Neben der offiziellen Facebook-Präsenz existiert ebenfalls noch die Seite „AfD-Freunde Tübingen“, die deutlich rechtsradikaler auftritt und den Höcke-Flügel repräsentiert.

Auch die Facebook-Präsenz des Doppelkreisverband Tübingen-Reutlingen der „Jungen Alternative“ (JA) wurde nach einer Auszeit wieder gestartet.

Am 26. Mai 2019 wurden im Kreis Tübingen mit 1,50% der Stimmen zwei AfD-Kandidaten in den Kreistag gewählt:

* Wolfram Schillinger (* 1979) aus Neustetten, Angestellter, Mitglied der Burschenschaft Germania Straßburg Tübingen

* Hardy Ullmann

Vom 20. bis zum 22. September 2019 soll außerdem im „Raum Tübingen“ das „Seminar: Rhetorik 1“ der  AfD-nahen Erasmus-Stiftung stattgefunden haben.

 

Aktivitäten der Identitären-Ortsgruppe in Tübingen

In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2019 befestigten AktivistInnen der extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB) im Stadtgebiet von Tübingen Plakate, Flyer und auf der Neckarinsel ein Transparent mit der Aufschrift „Lebst Du wirklich in einem sicheren Land?“.

Daneben gab es noch mehrere kleinere Sticker-Aktionen.

Die seit Mai 2015 in Tübingen existierende Ortsgruppe der IB war im Jahr 2019 insgesamt viel weniger aktiv als im Vorjahr. Das hängt mutmaßlich auch mit dem Weg- oder Rückzug des ehemaligen Ortsgruppen-Leiters Jonathan Rudolph zusammen.

Seit November 2018 veröffentlicht die der IB Tübingen übergeordnete IB-Regionalgruppe Schwaben keine Termine für (angebliche) Stammtisch-Treffen mehr. Es ist daher davon auszugehen dass es nur noch kleine interne Treffen der IB Tübingen gibt, wenn die Gruppe überhaupt noch existiert.

Die IB Tübingen betreibt auch einen eigenen Twitter-Account, der aber nur launige Kommentare und Re-Tweets twittert.

 

Der Kopp-Verlag in Rottenburg

Der Rottenburger Kopp-Verlag ist weiterhin ein großes gut laufendes rechtes Verlags-Unternehmen, dass neben zweifelhaften anti- bzw. pseudowissenschaftlichen Bereichen auch ein extrem rechtes Segment unterhält.

Dieses Jahr wendete sich der Kopp-Verlag stark gegen die Klima-Bewegung. Im Vorwort zum Kopp-Katalog Juli 2019 schrieb der Verlags-Inhaber Jochen Kopp aus Wurmlingen:

„Liebe Leserin. Lieber Leser,

ja, es gibt Populismus, derzeit sogar einen äußerst erfolgreichen – vor allem in Deutschland, aber auch in vielen anderen Staaten Europas. Es ist der mit allen bewährten Instrumentarien des manipulativen Gesinnungs-Marketings verstärkte Klimapopulismus. Er verhilft nicht nur den Grünen zu Höhenflügen, die schon bald ein akutes Ikarus-Syndrom erwarten lassen. Nein, der Klimapopulismus erweist sich auch als probates Mittel, um andere Themen nach Möglichkeit unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle zu halten.“

Passend dazu veröffentlichte Michael Grandt aus Balingen 2019 im Kopp-Verlag das Buch „Kommt die Klima-Diktatur? Eine faktenreiche Analyse des grünen Klimawahns“.

Mit seiner Anzeigen-Politik unterstützt der Kopp-Verlag direkt Publikationen der extremen Rechten. Fast jede Monatsausgabe der nationalneoliberalen Zeitschrift „eigentümlich frei“ und des rechtspopulistischen COMPACT-Magazins enthalten farbige A4-Anzeigen des Verlags. Hinzu kommen häufige Anzeigen in der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“.

Kopp-Buchautoren waren auch 2019 auf unterschiedliche Art mit der AfD verbunden, u.a. als Referenten auf AfD-Veranstaltungen.

 

Der Hohenrain-Verlag in Tübingen

Der Hohenrain-Verlag, in dem 2013 der Grabert-Verlag aufgegangen ist, hat erkennbar an Relevanz verloren. Im Jahr 2019 erschienen laut Register der „Deutsche Nationalbibliothek“ bei Hohenrain zwei Bücher und 2018 kein einziges.

Ohne genauere Details zu kennen, dürfte das Verlagsgeschäft aber auch schon mal besser gelaufen zu sein.

Der von Bernhard Grabert geführte Verlag hat den Sprung in das Online-Zeitalter erst verspätet und nicht nachhaltig geschafft.

Trotzdem erscheinen bei Hohenrain weiter Bücher, die besonders das Milieu des Höcke-Flügels und rechts davon bedient.

Die beiden 2019 bei Hohenrain erschienen Bücher waren:

* Werner Kunze: Die Moderne in der Bewährungsprobe

* Claus Nordbruch: Für Deutschland

 

Studentenverbindungen in Tübingen

Die konservativen bis deutschnationalen Verbindungen in Tübingen schirmen sich weiter nach außen ab und veröffentlichen offenbar seltener die Termine von politischen Vortragsveranstaltungen, um ihren Gegner*innen weniger Angriffsfläche für Kritik zu bieten.

Bekannt geworden ist lediglich dass am 12. Januar 2019 der Polizeigewerkschafts-Funktionär Rainer Wendt bei der Burschenschaft Arminia Straßburg zu Tübingen zum Thema „Sicherheit & Freiheit. Wohin steuert Deutschland“ referieren sollte, aber der Vortrag verschoben werden musste.

Außerdem referierte zum harmlos klingenden Thema „Tübinger Korporierte im NS-Widerstand“ am 10. Mai 2019 der Historiker Dr. Sebastian Sigler bei der Burschenschaft Derendingia zu Tübingen. Sigler ist Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Braun.

 

Sonstige rechte Gruppen

Eine Reichsbürger-Gruppe mit dem Namen „Freier Volksstaat Württemberg“ hat ihren Sitz in Rottenburg.

Die rechtslastige Polit-Sekte „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ (BüSo) veranstaltete in der Tübinger Innenstadt mehrfach Infostände (u.a. 18.09.).

Am 16. November 2019 haben auch im Kreis Tübingen Mitglieder der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ nach Eigenangaben mit „rund 20 volkstreue[n] Streiter[n]“ ein so genanntes „Heldengedenken“ im Kreis Tübingen durchgeführt.

Ihr Schwerpunkt-Gebiet liegt aber im benachbarten Kreis Reutlingen.

 

Christlicher Fundamentalismus

In Rottenburg-Kiebingen ist seit geraumer die rechklerikale „Marcel Lefebvre Stiftung“ ansässig, die der Piusbruderschaft nahe stehen dürfte.

 

Türkische NationalistInnen

Beim 44. Rottenburger Neckarfest vom 28. bis zum 30. Juni 2019 in Rottenburg war auch ein Stand des Türkisch-Deutschen Freundschaftsverein e.V. angekündigt. Dieser ist Teil der extrem rechten türkischen „Deutsche Türk-Föderation“ („Almanya Türk Federasyon“ – ATF; davor: „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e.V.“ – ADÜTDF) und damit einer Bewegung, die auch als „Graue Wölfe“ bezeichnet werden.

 

Boris Palmer

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist besonders mit seinen Wortmeldungen in den sozialen Medien ein ständiger Stichwort- und Zitate-Geber der extremen Rechten, der er selbst aber nicht zuzurechnen ist.

Palmer forderte etwa Anfang August auf Facebook unter der Überschrift „Hätte der Stuttgarter Schwertmörder auch Schwabe sein können?“ für 5% der Geflüchteten, die er als ‚Problemgruppe‘ identifiziert haben will: „Solche Straftäter sollten in sicheren Landeseinrichtungen untergebracht werden, bis die Gefahr gebannt ist. Entweder durch Klärung der Identität, Sozialisierung und Integration oder durch Ausweisung und Abschiebung.“

 

Rechte Straftaten (Angriffe etc.)

Im Jahr 2019 gab es im Kreis Tübingen mehrere rechte Straftaten (Angriffe etc.):

* In Hirschau (Kreis Tübingen) tauchten im Januar 2019 erneut rechte, verschwörungsideologische Schmierereien auf.

* Am 15. Juli 2019 wurde in der Tübinger Weststadt auf dem Gelände der Berufsschule ein gesprühtes Hakenkreuz und der Zahlencode „88“, der für „Heil Hitler“ steht, entdeckt.

* Am 3. September 2019 wurde erfolglos versucht in Tübingen ein Pro-Refugee-Transparent an der Fahrradwerkstatt des Wohnprojekts Schellingstraße, dem „Fahrradies“, anzuzünden.

* Um den 29. September 2019 herum wurden nahe dem Tübinger Hauptbahnhof mit gelber Farbe zwei Hakenkreuze gesprüht.

 

Sonstiges

Besorgniserregend ist dass es zwei bekannt gewordene Fälle von Antisemitismus im Jahr 2019 gab, bei denen die Täter*innen eher aus der links-alternativen Szene stammen dürften:

* Am 19. September 2019 wurde entdeckt das an mehreren Stellen in Tübingen mit dem holocaustrelativierenden Spruch „Stop den Holocaust an Schweinen“ beschmiert wurde.

* Am 5. November 2019 wurde in der Tübinger Gartenstraße ein Graffiti mit dem Schriftzug „FCK ISRL“ (meint „Fuck Israel“) und einem Anarchie-Symbol entdeckt.

 

Fazit und Ausblick

Tübingen ist sicherlich keine rechte Hochburg. Aber die beiden Verlage Kopp und Hohenrain sind bundesweit von Bedeutung, insbesondere der Kopp-Verlag.

Deutlich erkennbar sind im Vergleich zu 2018 abnehmende Aktivitäten von Identitären und AfD/JA im Jahr 2019. Trotzdem gelang es der AfD zwei Kreistagssitze zu erobern.

Von bundesweiter Relevanz ist auch der Tübinger OB Boris Palmer als verbaler Durchlauferhitzer.

Es gibt sicher Bereiche rechter und reaktionärer Umtriebe, die uns bisher verborgen bleiben. Gibt es etwa verschwörungsideologische Gruppen oder Veranstaltungen im Kreis? Gerade nach dem antisemitischen Amoklauf in Halle muss auch diese Ecke stärker ausgeleuchtet werden.

Deswegen zum Schluss noch einmal der Appell uns Hinweise zukommen zu lassen. Wir wissen dass manche Beobachtungen (z.B. Fotos von rechten Schmierereien) in Signal-, Whatsapp- oder Telegram-Gruppen ausgetauscht werden, aber leider nicht an uns weitergeleitet werden. Das ist schade und hemmt den Recherche-Antifaschismus für den Kreis Tübingen.

Wir wünschen allen Leser*innen ein antifaschistisch erfolgreiches Jahr 2020!

Über tuebingenrechtsaussen

Der Watchblog „Tübingen Rechtsaußen“ - ein Bewegungsmelder für rechte Aktivitäten im Raum Tübingen, Reutlingen und Rottenburg Wir wenden uns gegen rechte und reaktionäre Umtriebe in der Tübingen, Reutlingen und Rottenburg und dokumentieren diese kritisch. Egal, ob es um rechtslastige Psychosekten, homophobe FundamentalchristInnen, türkische NationalistInnen, reaktionäre Männerbünde, die RechtspopulistInnen von der AfD oder Neonazis geht. Keine anti-emanzipatorische Gruppe wird von uns ausgelassen.
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